Verkehrsraum / Straßenbau

Psychologie und Straßengestaltung

Die Verkehrspsychologie befasst sich mit der psychologischen Grundlagenforschung im Bereich des Verkehrsverhaltens und mit der Verwertung der Ergebnisse aus dieser Forschung für die Beantwortung praktischer Fragestellungen. Die verkehrspsychologische Forschung hat wegen der zentralen Bedeutung des Straßenverkehrs seit einem Jahrhundert ein äußerst umfangreiches Wissen über die Gestaltung von Verkehrsräumen, von Fahrzeugen und über menschliches Verkehrsverhalten hervorgebracht.

Historische Basis der Zusammenarbeit von Verkehrsplanern, Verkehrstechnikern und Psychologen sind Problemstellungen der Verkehrssicherheit. Im Rahmen von Überlegungen, die insbesondere eine Verbesserung der Verkehrssicherheit zum Ziel haben, besitzt der „Human Factors“-Ansatz der Straßengestaltung erhebliche Bedeutung: Verhalten im Verkehr im System „Fahrer-Fahrzeug-Verkehrsumgebung“ ist nicht zu verstehen, ohne den Wirkungen der physikalischen Umgebungsbedingungen – also v.a. der Straßengestaltung – auf den Fahrer Rechnung zu tragen. Dabei geht es u.a. um die Frage, wie Wahrnehmung, Erwartungen, Motivation und Kapazitätsgrenzen des Fahrers in Entwurf, Gestaltung und (Rück)Bau von Straßen berücksichtigt werden können. Mit diesen Fragen beschäftigen sich Psychologen seit langer Zeit, beispielhaft seien das „Positive Guidance“-Konzept aus den USA, die Initiative der „Self-explaining roads“ in den Niederlanden sowie entsprechende Gestaltungsarbeiten deutscher Psychologen genannt. In diesem Zusammenhang muss allerdings auf erhebliche Vollzugsdefizite verwiesen werden: Es besteht häufig eine große Diskrepanz zwischen den vorhandenen Erkenntnissen einerseits und ihrer Verwendung vor Ort andererseits.

Entwurf und Konstruktion von Verkehrswegen haben Richtlinien zu befolgen, die sich insbesondere ableiten aus einer Kenntnis:

  • der zugrundeliegenden Fahraufgaben und ihrer Teilaufgaben,
  • den daraus resultierenden mentalen und psychomotorischen Leistungen, mit denen die jeweiligen Fahraufgaben bewältigt werden können (sog. Anforderungen) und
  • den damit verbundenen Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Informationsverarbeitung.

Der Bewältigung dieser Fahraufgaben liegt ein komplexer Prozess der Informationsaufnahme und -verarbeitung zugrunde. Die Verkehrsumgebung (bauliche Situation Straße, Verkehrsablauf, Bebauung, Bepflanzung, Nutzung, Signalisierung, Linienführung, Beschilderung, etc.) vermittelt dem Fahrer – bzw. allgemein dem Verkehrsteilnehmer – Informationen, die er aufgrund seiner Erfahrungen mit gleichen oder ähnlichen Situationen interpretiert, bewertet und in Erwartungen über Verkehrsabläufe, das Auftreten bestimmter Verkehrsteilnehmergruppen und deren Verhalten sowie über Zulässigkeit und fahrdynamische Realisierbarkeit von Fahrvorgängen umsetzt. Verhaltens- und erlebensbezogene Entwurfskriterien müssen also berücksichtigen, dass sich der Verkehrsteilnehmer nicht nur am Ausbauzustand des Straßenraumes, sondern auch an einem subjektiv geprägten Bild der gesamten Verkehrssituation orientiert.

Daraus leitet sich das wohl wichtigste generelle Gestaltungsprinzip – das als „Erwartungskongruenz“ bezeichnet wird – ab: Die durch die Gestaltung der Straße vom Fahrer antizipierten Situationen sollten möglichst genau mit den objektiv signalisierten Bedingungen übereinstimmen. Wenn diese Fahrererwartungen verletzt werden, subjektive Einschätzung und objektive Gegebenheiten voneinander abweichen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Unfällen, Verkehrskonflikten und Fahrfehlern. Diese situationsabhängigen Fahrererwartungen werden zudem durch seine Aufmerksamkeit und das resultierende Beanspruchungsniveau beeinflusst. Automatische und schnelle Reaktionsweisen, die sich über längere Zeiträume aufgebaut haben, müssen dann durch Entscheidungen während einer neuen und ungewohnten Fahraufgabe ersetzt werden.

Für die Straßengestaltung ist daher zu fordern, dass sie für die intendierten Verhaltensweisen eine phänomenale Entsprechung im Straßen- und Verkehrsbild schafft, also die Übereinstimmung von Situationsantizipation und objektiven Bedingungen maximiert. Dazu ist es notwendig, dem Fahrer rechtzeitig Informationen über die bevorstehende Situation zu vermitteln. Dies kann grundsätzlich auf zwei Wegen erfolgen, die als Leitprinzip bzw. Hemmungsprinzip bezeichnet werden. Dem Hemmungsprinzip liegt die Funktion der Hemmung situationsunangepaßten Verhaltens zugrunde: Es hebt die zu berücksichtigende Gegebenheit (z.B. „scharfe Kurve“) in Verkehrszeichenform unabhängig von subjektiven Erwartungen hervor. Das Leitprinzip hingegen knüpft an die Fahrererwartungen an; ein typisches Beispiel ist das Prinzip der visuellen Führung. Die häufig zu allgemeinen Informationen von Verbots- und Gefahrenzeichen werden durch situationsspezifischere Bodenmarkierungen und Leiteinrichtungen, z.B. über einen Kurvenverlauf, ergänzt oder ersetzt.

Erwartungshaltungen können in konsistenter Weise gelernt werden, wenn die wichtigsten Elemente der Straßengestaltung standardisiert sind. Die Mehrzahl der fahrerrelevanten Außenreize ist optischer Natur: Wichtig sind daher die Gesetzmäßigkeiten der menschlichen visuellen Wahrnehmung. Dies hat Folgen für die Gestaltung von Einrichtungen des Verkehrsraums, wie z.B. Verkehrszeichen, Straßenbeleuchtungen, Fahrbahnmarkierungen, Ampelanlagen.